„Kaufentscheidungen treffe ich faktenbasiert. Ich bin doch nicht beeinflussbar.” Davon gehen viele Menschen aus. Allerdings zeigen unzählige Untersuchungen, dass wir emotionale Wesen sind und nicht immer rational handeln. Genau deswegen liegen im Neuromarketing so viele Chancen - natürlich auch im E-Commerce.
Sind unsere Kaufentscheidungen rational oder unbewusst?
Je nach Quelle gehen wissenschaftliche Studien davon aus, dass zwischen 70 und 95% unserer Entscheidungen unbewusst sind. Der Einfluss von Emotionen auf Entscheidungen sollte also nicht unterschätzt werden.
Vielmehr ist es sogar so, dass wir mit rationalen Argumenten versuchen, gefühlsgesteuerte Entscheidungen zu rechtfertigen. Hast du dir noch nie selbst erklärt, dass deine neuen Markenschuhe hochwertiger sind als Deichmann-Treter? Aber am Ende kommen auch deine Markenschuhe aus asiatischen Fabriken!
Die wesentliche Erkenntnis daraus: Entscheidungen werden von unseren Gefühlen stark beeinflusst. Die Frage, die sich für den Bereich E-Commerce daraus entwickelt: Wie bringt man seine Zielgruppe zu einer emotionalen Kaufentscheidung?
Neuromarketing-Klassiker hilft auch im E-Commerce
Zahlreiche Antworten darauf bietet einer der Klassiker im Neuromarketing: Robert Cialdini – die Psychologie des Überzeugens! Bei diesem Mann sagen sie alle „Ja“. Denn er hat gleich sechs Prinzipien der Psychologie des Überzeugens aufgestellt, die Entscheidungen von Usern auf unbewusster Ebene stark beeinflussen.
Im Folgenden wenden wir diese sechs Prinzipien auf das Neuromarketing im E-Commerce an. Dazu gibt es viele praktische Beispiele zur operativen Anwendung.
1. Prinzip der Gegenseitigkeit
„Eine Hand wäscht die andere“ oder „Wie du mir, so ich dir“. Es gibt unzählige Sprichwörter, die das Prinzip der Gegenseitigkeit ausdrücken. Wenn man etwas geschenkt bekommt oder jemand einem einen Gefallen tut, verspürt man die moralische Verpflichtung, etwas Gleichwertiges zurückzugeben.
Im analogen Neuromarketing wird dieser Effekt bereits sehr lange eingesetzt. Natürlich sollen dadurch auch beide Seiten profitieren, damit einer langfristigen Beziehung nichts im Wege steht.
Damit jemand das Bedürfnis verspürt, etwas zurückzugeben, muss man ihm erst einmal etwas geben. Was das sein kann? Eine Kostprobe beispielsweise.
Dazu zunächst ein klassisches Supermarkt-Beispiel:
Im Supermarkt bietet dir eine freundliche Dame einen Cracker mit einer leckeren Antipasti-Creme an. Du probierst ihn und dadurch startet der Kreislauf: Kaum ist der Cracker gegessen, fragt die Dame, ob dir die Creme geschmeckt hat. Daraufhin bestätigst du ihr, dass die Creme wirklich lecker war.
Und was folgt danach? Genau, du hast das Bedürfnis, die teure Bio-Antipasti-Creme zu kaufen. Nicht nur, weil die Creme schmackhaft war, sondern gerade auch, weil du unbewusst denkst, eine Gegenleistung zu schulden. Die Dame muss dich nicht mal auf einen Kauf hinweisen, da das Produkt dort vor dir steht.
Doch welche Möglichkeiten gibt es, dieses Prinzip auch im E-Commerce zu nutzen?
Neuromarketing im E-Commerce durch Gratisproben
Als Überraschung kannst du deinen Paketen kleine Gratisproben, Gutscheine o.ä. beilegen (lassen). Besonders saisonal sorgt das für Freude bei euren Kunden.
Stell dir vor, du bestellt ein Weihnachtsgeschenk und erhältst ohne Vorankündigung ein kleines Zusatzgeschenk.
Ob du einen Onlineshop betreibt oder eine Dienstleistung digital anbietest, mit Gratisproben in jeglicher Form kannst du von diesem Effekt profitieren - z.B.:
kleine Pröbchen (Parfum, Cremes, Snacks uvm.)
Neukundengutscheine
kostenloser Probemonat (Bei Abo Modellen)
E-Book, kostenlose Trainingsvideos
Gratis Artikel ab Bestellwert X
Kostenfreie Erstberatung
etc.
Großzügigkeit zahlt sich langfristig aus
Auch ein langes Kundengespräch im Service, indem man sich viel Zeit nimmt, kann dieses Prinzip auslösen. Das Schöne daran ist, dass beide Seiten profitieren. Zudem erhält man die Gelegenheit den Kunden einen kleinen Vorgeschmack auf die Qualität zu geben, was sich vielfach auszahlen kann.
Tut man seinen Kunden einen kleinen Gefallen, zahlt sich das langfristig aus. Nichts bleibt so lange im Gedächtnis wie eine herausragende Customer Experience. Ein positiver Nebeneffekt: Weiterempfehlungen! Kunden werden an euch denken, wenn sich die Gelegenheit bietet, etwas zurückzugeben Denn was man sät, das erntet man. Also? Beginnt zu säen!
2. Prinzip der Knappheit
Ist etwas jederzeit verfügbar, geht der Reiz schneller verloren, als er gekommen ist. Jetzt stellt sich allerdings die Frage, wieso macht man ein Produkt / eine Dienstleistung knapp, wenn man doch am liebsten so viel verkaufen möchte, wie möglich?
Verknappung kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen: zeitliche Verknappung oder begrenzte Anzahl.
Zeitliche Verknappung
Eine oft genutzte Variante ist die zeitliche Limitierung. Wenn ein Angebot zeitlich begrenzt ist, erhält der Kunde das Gefühl, dass er es nur jetzt bzw. nur zu diesem Zeitpunkt zu diesem Preis erwerben kann. Dadurch nimmt er es als begrenzt und in gewisser Weise auch als besonders begehrenswert wahr.
In den letzten Jahren tritt dieses Prinzip immer stärker in Form von saisonalen Sales-Events wie dem Singles Day, Black Friday oder Cyber Monday auf. Dabei setzen Händler nicht nur auf bestimmte Tage, sondern arbeiten teilweise mit Blitzangeboten, die nur wenige Stunden oder wenige Minuten gültig sind. Dabei wird auch sehr stark mit automatischer Preisanpassung oder Dynamic Pricing gearbeitet.
Knappheit durch begrenzte Anzahl
Jeder kennt es: „Nur noch 5 Plätze verfügbar!“. Jetzt muss es schnell gehen. Ob Hotelzimmer, Flugtickets oder Artikel aus dem Onlineshop, alles ist begrenzt. Wichtig ist allerdings, dass diese Knappheit auch der Wahrheit entspricht. Denn sonst bewegt man sich rechtlich auf dünnem Eis!
Kommt ein Produkt neu auf den Markt und ist es kurze Zeit später schon ausverkauft, ist das Produkt knapp und begehrenswert. Ganz egal, wie teuer es ist. Möchte man sein Produkt verknappen, produziert man nur eine begrenzte, kleinere Menge des Produktes. Die limitierte Anzahl von Produkten wird insbesondere im Fashion-Bereich häufig genutzt. Diese Methode wird auch als Drop bezeichnet.
Bei einer Dienstleistung reicht oftmals auch schon die Information aus, dass „neue Termine verfügbar sind“, weil dies darauf hinweist, dass bereits eine Ausbuchung vorlag. Ferner kann man die Kunden darauf hinweisen, sie mögen sich früh genug für einen Termin entscheiden, da große Nachfrage herrscht.
Bei jeglicher Verknappung sollte jedoch klar sein, dass es darum geht, den Kunden unterbewusst zu überzeugen, jedoch nicht ihn in die Ecke zu drängen. Denn hat sich eine Person erst einmal festgelegt, ändert sich die Meinung nur ungern.
3. Prinzip der Konsistenz
Das Streben nach Konsistenz in Handeln und nach außen getragenen Werten ist im Mensch veranlagt. Anders ausgedrückt: Du möchtest dir, deiner Meinung und deinen Werten treu bleiben. Niemand rudert gerne zurück.
Daraus folgt aber auch, dass man dazu neigt, einer einmal getroffenen Entscheidung auch unter sich gegebenenfalls ändernden Umständen treu zu bleiben. Ob es ein günstiges Angebot, eine Premium-Marke oder der Charme des Verkäufers ist. Hat man einmal „Ja“ gesagt, bleibt es meistens dabei.
Daher versuchen wir natürlich den Kunden zum ersten „Ja“ zu bewegen. Je öffentlicher bzw. verbindlicher dieses „Ja“ ist, desto stärker bleiben Menschen ihrer Meinung treu.
Wie bekommen wir ein Ja vom Kunden?
Häufig werden rhetorische Fragen eingesetzt, um dem Kunden bereits mehrfache Zustimmung zu entlocken. Die letzte Frage mündet dabei meistens in die Kaufentscheidung, die dann mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit mit „Ja“ beantwortet wird.
Diese Art von Fragen findet man jedoch nicht nur in einem persönlichen Verkaufsgespräch, sondern insbesondere in den Customer Journeys von professionellen E-Commerce Unternehmen. Auch bei der Landingpage Optimierung sollte man Werbetexte nach diesem Schema aufbauen.
Dazu solltest du für die Umsetzung definitiv auf Spezialisten zurückgreifen, die sich mit den Thematiken Neuromarketing im E-Commerce und Human Centricity auskennen. Eine technisch hochwertige E-Commerce-Plattform ist die essenzielle Basis hierfür.
4. Autoritätsprinzip
Expertise und Autorität zählt - insbesondere in komplexen Branchen! So wird die Meinung eines Experten höher gewichtet als die eines Laien.
Auch im E-Commerce kann man sich dieses Prinzip zu Nutze machen. Insbesondere bei traditionellen Unternehmen, Spezialisten, als auch Marken fällt die Expertise stark ins Gewicht. Nutze Tradition und Spezialisierung zu deinem Vorteil!
Durch Referenzen, Kundenbewertungen, Testimonials, Fachartikel und die Betonung der Erfahrung oder Tradition eines Unternehmens auf der Website, kannst du das Autoritätsprinzip nutzen.
Zusätzlich fördern Zertifikate, Verbandsmitgliedschaften oder Testergebnisse die Autorität eures Onlineshops.
5. Sympathieprinzip
Menschen, die einem sympathisch erscheinen, erfreuen sich erhöhter Glaubwürdigkeit. Dies kommt vor allem daher, dass die Sympathie hoch mit der Ähnlichkeit zur eigenen Person korreliert.
Das Sympathieprinzip können Unternehmen insbesondere bei Onlineshops und in ihrem Marketing für sich nutzen. Die Nähe zur Zielgruppe und damit der Kundenzugang ist im E-Commerce entscheidend.
Ein großer Hebel ist die Auswahl der Bildmotive sowie der dort abgebildeten Personen. Diese sollten eine möglichst hohe Identifikation bei der Zielgruppe auslösen. Denn Sympathie kann je nach Zielgruppe etwas völlig anderes bedeuten.
Wenn bei euch also beispielsweise vor allem Produkte für Familien verkauft werden, sollten sich diese in der Bildsprache auch wiederfinden. Hingegen sind Rapper für die Zielgruppe von Streetwear Mode sympathisch, aber für Arbeitskleidung vollkommen fehl am Platz. Durch A/B Tests lassen sich die Motive ermitteln, die am Besten konvertieren.
6. Prinzip der sozialen Bewährtheit
Was die Mehrheit tut, wird wohl das Richtige sein. Es ist das wohl meistgenutzte Prinzip Cialdinis. So kommt es teils dazu, dass sich ganze 95% Nachahmer an den 5% Early Adoptern orientieren.
Genutzt wird dieses Prinzip durch Produktbewertungen, Angaben darüber, wie viele Personen dieses Produkt bereits gekauft haben oder wie viele Personen mit dem Produkt zufrieden sind. Auch die Anzahl der Newsletter-Abonnenten wird häufig kommuniziert.
Die Integration von solchen Informationen ermöglicht es euch, gute Bewertungen hervorzuheben und somit den Kaufentscheidungsprozess maßgeblich positiv zu beeinflussen.
Beispiel: Kundenbewertungen als Neuromarketing im E-Commerce
Besonders im digitalen Kaufentscheidungsprozess wird innerhalb der Informationssuche gerne auf die Meinung anderer zurückgegriffen. Möchte man zu diesem Zweck gerne eine Bewertung von seinen Kunden für die erbrachte Leistung, sollte man zunächst nach ihrer Zufriedenheit fragen.
Nicht nur da es eine wesentlich nettere Art ist, um einen Gefallen zu bitten, sondern auch aus Sicht des Prinzips der Konsistenz. Bestätigt der Kunde nämlich seine Zufriedenheit mit der Leistung, so wird er die Frage nach einer Bewertung nicht verneinen. Dies zahlt sich aus. Denn eure zukünftigen Kunden werden sich, an den gesammelten Bewertungen orientieren.
Wir empfehlen immer, neben den gängigen Bewertungsplattformen wie Google oder Trustpilot auch auf der eigenen E-Commerce Plattform Bewertungen zu ermöglichen. So seid ihr plattformunabhängig und könnt diese Bewertungen auch flexibler an verschiedenen Stellen der Customer Journey einsetzen.
Fazit zum Neuromarketing im E-Commerce
Glaubwürdigkeit ist hier das A und O. Übertreibt man es mit der Beeinflussung, verlieren Aussagen, wie „noch 2 verfügbar“, an Glaubwürdigkeit. Der Effekt wird dabei hinfällig und die wahrgenommene Manipulation wird negativ aufgefasst.
So steht Booking.com häufig in der Kritik. Denn bei einem Großteil der Hotels wird angezeigt, dass sie heiß begehrt sind und in den vergangenen Stunden oft gebucht wurden. Zusätzlich werden Informationen wie „Ohne Risiko“ und „Sehr gefragt“ gespielt, um den Kunden zum Buchen zu bewegen. Dabei können diese Informationen durch ihre aggressive Nutzung ihre Wirkung verlieren
Gut dosiert stellt Neuromarketing im E-Commerce einen sehr hohen vertrieblichen Nutzen dar und kann bei richtiger Verwendung den Umsatz immens steigern. Es wirkt positiv im Kaufentscheidungsprozess und unterstützt dabei auch nachhaltig die Checkout Optimierung.
Die unbewusste Beeinflussung des Kaufentscheidungsprozesses ist eine Kunst, die in Zusammenarbeit zwischen Inhouse Experten und eine professionelle, technische Umsetzung benötigt.